Maßnahmen
Sexismus ist manchmal leicht zu erkennen, oft begegnet er uns jedoch erst auf den zweiten oder dritten Blick. Er ist im Alltag vieler Menschen, in den Medien und in gesellschaftlichen Debatten präsent. Doch was bedeutet Sexismus eigentlich, was sind seine Ursachen und wie erkenne ich ihn? Hier finden Sie Informationen.
- Richtet sich an: Führungskräfte
- Zielt auf: Haltung
Einzelne Maßnahmen gegen Sexismus sind wichtig,
entfalten aber ihre volle Wirkung erst, wenn die Organisation und ihre Führungskräfte klar und konsequent kommunizieren, dass Sexismus und Diskriminierung in keiner Form akzeptiert werden. Dies umfasst nicht nur offizielle Maßnahmen wie Schulungen und die Durchsetzung von Sanktionen, sondern auch informelle Signale – etwa durch das alltägliche Verhalten und beiläufige Bemerkungen der Führungskräfte. Je einheitlicher eine Organisation in ihrer Haltung auftritt, desto einfacher wird es, Diskriminierung auf organisatorischer Ebene zu bekämpfen (Smith 2017). Ein Beispiel: Eine Frau mit einer körperlichen Behinderung, die in einem männerdominierten Umfeld arbeitet, erlebt einen abfälligen Kommentar über ihre Fähigkeiten. Führungskräfte, die auf solche Situationen reagieren, indem sie sich klar gegen die abwertende Bemerkung positionieren und die Bedeutung von Respekt betonen, setzen ein deutliches Zeichen.
- In der Kampagne „Betriebsklimaschutz“ hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes zahlreiche Poster und Postkarten erstellt, die Organisationen kostenfrei bestellen und auslegen können: www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/wir-beraten-sie/praxisbeispiele/praxisbeispiele-node.html
- 2020 hat die United Leaders Association ein Positionspapier gegen Sexismus veröffentlicht: www.ula.de/ula-wir-sagen-nein-zu-sexismus-klares-bekenntnis-der-fuehrungskraefte-gegen-sexismus
- Richtet sich an: Mitarbeiter/-innen, Führungskräfte, Betriebsrat
- Zielt auf: Struktur zum Sichtbarmachen von Sexismus
Wie in Kapitel 1 beschrieben, ist Sexismus im Alltag so
normalisiert, dass er von vielen immer noch unterschätzt
oder nicht wahrgenommen wird. Somit kann es ein Augenöffner sein, in der eigenen Organisation anonymisierte Umfragen durchzuführen und Zahlen und Fakten rund um das Thema Sexismus – und andere Formen von Diskriminierung – zusammenzutragen. Welche Personengruppen finden sich in den Führungspositionen auf den verschiedenen Ebenen? Machen LGBTI-Personen Diskriminierungserfahrungen
im Arbeitsalltag? Gibt es eine Ungleichbehandlung der Geschlechter beim Arbeitsentgelt? Und als wie diskriminierend nehmen Betroffene die Unternehmenskultur wahr? Anhand der Umfragen und Zahlen lassen sich Zielgrößen und Maßnahmen vereinbaren. Es kann beispielsweise beschlossen werden, den Anteil an (mehrfachdiskriminierten) Frauen in Führungspositionen innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu erhöhen oder durch Schulungen einen Wandel der Unternehmenskultur zu unterstützen.
Ein gutes Beispiel für die Integration einer betrieblichen
Bestandsaufnahme in die Abläufe im Unternehmen bietet
Raytheon Anschütz, Hersteller von Navigationssystemen. Es hat das Thema sexuelle Belästigung in seinen gesetzlich vorgeschriebenen Fragebogen zur Gefährdungsbeurteilung aufgenommen. Beschäftigten wird also die Frage gestellt, ob sie sexuell belästigt wurden, und sie können anonym darauf antworten. Der Betriebsrat hat zwar keinen Hinweis darauf, wer die Person ist, erfährt aber, in welchem Bereich der Übergriff stattgefunden hat, und kann entsprechend tätig werden.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Instrumente entwickelt, mit denen Unternehmen ihre Gleichbehandlungsstandards überprüfen können:
- Der eg-check ist ein Set von Analyseinstrumenten zur Prüfung der Entgeltgleichheit von Frauen und Männern. Mögliche Ursachen von Entgeltungleichheit können erkannt und Maßnahmen abgeleitet werden:
www.eg-check.de - Der gb-check ist ein Set von Analysewerkzeugen zur Prüfung der Gleichbehandlung von Frauen und Männern im Arbeitsleben. Es ermöglicht eine Einschätzung, inwieweit Unternehmen und Institutionen die Gleichbehandlung der Geschlechter bereits gewährleisten, und zeigt Wege zu mehr Gleichbehandlung auf:
www.gb-check.de
- Richtet sich an: Mitarbeiter/-innen, Führungskräfte
- Zielt auf: Prävention
Leitlinien oder Verhaltenskodizes sind ein wichtiger Schritt, um gegen Sexismus vorzugehen und dieses Vorgehen für alle Beteiligten transparent zu gestalten. Zu Beginn wird darin klar und formell erklärt, dass sexistisches Verhalten und sexuelle Belästigung innerhalb der Organisation nicht toleriert werden und dass die Leitlinien den Mitarbeitenden weithin zugänglich gemacht werden. Im nächsten Schritt wird genau definiert, welches Verhalten nicht erwünscht ist – dabei ist eine Beachtung der rechtlichen Vorgaben des AGG sinnvoll. Darüber hinaus können gewünschte Verhaltensregeln positiv erwähnt und auf mögliche Sanktionen hingewiesen werden. Für den Fall, dass der Kodex missachtet wird, sind Verfahren für die Einreichung von Beschwerden einzurichten, Beschwerden schnell und gründlich zu untersuchen und sofortige Abhilfemaßnahmen zu ergreifen (Smith 2017: 32). Leitlinien sollten sichtbar eingeführt werden, etwa bei einer Veranstaltung, in der Führungskräfte sie öffentlich präsentieren.
Beispiele für Verhaltenskodizes unserer Bündnismitglieder:
- Verhaltenskodex des Deutschen Bühnenvereins:
www.deutscher-buehnenverein.de - Code of Conduct der Volkswagen AG:
www.volkswagen-group.com/de/integritaet-und-compliance-15705 - Verhaltenskodex der BASF:
www.basf.com/global/de/who-we-are/organization/management/code-of-conduct.html
- Richtet sich an: alle Beschäftigten
- Zielt auf: Prävention gegen sexuelle Belästigung und Sexismus
Betriebs- und Dienstvereinbarungen – als Verträge zwischen Arbeit gebendem Unternehmen und Betriebsrat
beziehungsweise zwischen Dienststellenleitung und
Personalrat (im öffentlichen Dienst) – können eingesetzt
werden, um klarzustellen, dass sexuelle Belästigung und
sexistische Äußerungen unerwünscht sind und partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz erwartet wird. Auch auf Sanktionsmöglichkeiten und Vorgehensweisen kann hier hingewiesen werden. Damit schaffen die Vereinbarungen rechtliche Rahmenbedingungen, Transparenz und Handlungssicherheit für Verantwortliche. Zur Prävention gegen Sexismus bieten sich zwei Themen an: eine Vereinbarung ausdrücklich zum Thema sexualisierte Gewalt und eine Vereinbarung zum Thema Arbeitsklima, die Werte wie Gleichbehandlung, Toleranz und kollegiales Verhalten hervorhebt. Letztere kann auch auf andere Diskriminierungsformen wie Rassismus oder Ableismus ausgeweitet werden. Dabei ist es sinnvoll, Selbstorganisationen von Betroffenen, etwa von Migrant*innen, miteinzubeziehen.
- Reihe „Betriebs- und Dienstvereinbarungen“ der Hans-Böckler-Stiftung: www.imu-boeckler.de/de/betriebsvereinbarungen-15454-praevention-sexueller-belaestigung-36353.htm
- DGB-Leitfaden mit Muster-Betriebsvereinbarung zum partnerschaftlichen Verhalten am Arbeitsplatz:
frauen.dgb.de/positionen/gewalt-und-belaestigung-am-arbeitsplatz
- Richtet sich an: Mitarbeitende, Führungskräfte
- Zielt auf: Prävention
Zum Thema sexuelle Belästigung gibt es klare gesetzliche
Regelungen und auch viel Wissen aus Forschung
und Praxis. In vielen Betrieben ist allerdings bisher wenig
von diesem Wissen angekommen (Schröttle/Meshkova/
Lehmann 2019: 88). Doch sowohl von sexueller Belästigung Betroffene als auch Führungspersonen in Unternehmen wünschen sich diese Informationen (ebd.: 38). Informationsmaterialien bereitzustellen, gegebenenfalls in mehreren Sprachen, ist daher ein wichtiger Schritt und immer auch ein Statement, dass das Arbeit gebende Unternehmen das Thema sexuelle Belästigung ernst nimmt. Schon alleine das kann dazu führen, dass Betroffene eher bereit sind, sich zu öffnen und gegen Belästigung vorzugehen. Ein guter Anlass, um Materialien, Maßnahmen und Ansprechpersonen vorzustellen, ist eine Betriebs- oder Personalversammlung.
- Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat einen sehr umfangreichen Leitfaden zum Umgang mit sexueller Belästigung erstellt:
www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Leitfaeden/leitfaden_was_tun_bei_sexueller_belaestigung.html - Im Projekt „make it work!“ hat der Bundesverband der Frauennotrufstellen umfangreiche Materialien entwickelt, um über sexuelle Belästigung aufzuklären:
www.frauen-gegen-gewalt.de - Der DGB-Leitfaden zur Verhinderung von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz enthält viele Good-Practice-Beispiele und eine Muster-Betriebsvereinbarung:
frauen.dgb.de/positionen/gewalt-und-belaestigung-am-arbeitsplatz
- Richtet sich an: Führungskräfte, Mitarbeitende, Interessenvertretungen, Betriebs- und Personalräte
- Zielt auf: kritische Haltung gegenüber Stereotypen und subtilen Sexismen
Trainings gegen Sexismus und andere Formen von Diskriminierung, oft unter dem Stichwort Diversity-, Unconscious-Bias- oder Gender-Awareness-Trainings bekannt, regen die Teilnehmenden zur Reflexion der eigenen Vorurteile und Verhaltensweisen an. Trainings können als Halbtagsveranstaltungen, Ganztagsveranstaltungen oder in ganzen Reihen gebucht werden, finden als Präsenzveranstaltung oder online statt. Es gibt eine Vielzahl von freiberuflichen Trainerinnen und Trainern sowie Organisationen, die diese Trainings anbieten. Ratsam ist es, die Erfahrungen und Methoden der Trainer*innen genau zu prüfen, denn Trainer*in ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Wie Forschungsergebnisse zeigen, sind insbesondere solche Trainingsformate effektiv, die nicht auf reine Wissensvermittlung, sondern auf Austausch und emotionale Erfahrung angelegt sind. Organisationen sollten sich darüber bewusst sein, dass manche Personen auf Trainings zu diesem sensiblen Thema auch mit Abwehr reagieren und sich sogar in ihrer ablehnenden Haltung bestätigt sehen. Eine Trainingsreihe sollte bevorzugt mit Führungskräften beginnen, da diese den größten Einfluss auf die Organisationskultur haben. Auch Empowerment-Trainings zur Stärkung diskriminierter Gruppen können eine sinnvolle Maßnahme sein.
- Richtet sich an: Mitarbeitende, Führungskräfte
- Zielt auf: Haltung gegenüber Stereotypen und subtilen Sexismen
Als wirksame Intervention gegen Sexismus erweist sich die direkte Konfrontation. Wird die Person, die sich sexistisch äußert oder verhält, direkt darauf angesprochen, schafft das größeres Bewusstsein für Sexismus – und zwar bei allen Beteiligten. Organisationen sollten allerdings klar kommunizieren, dass diese Ansprache erwünscht ist und Personen, die Sexismus benennen, nicht als Störenfriede gesehen werden. Eine Organisationskultur, die Konfrontationen begrüßt und fördert, nennt man auch Speak-up-Kultur. Ohne Speak-up-Kultur droht Sexismus benennenden Personen, vor allem Frauen, erhebliche soziale Stigmatisierung: Sie werden oft als hysterisch wahrgenommen und müssen unter Umständen sogar Nachteile in ihrer beruflichen Laufbahn hinnehmen. Wenn Männer Sexismus ansprechen, werden sie hingegen oft ernster genommen als Frauen (Becker/Zawadzki/Shields et al. 2014: 606). Hier zeigt sich, wie wichtig es ist, Männer in die Strategien zur Bekämpfung von Sexismus aktiv einzubinden. Eine entscheidende Rolle bei der Implementierung einer Speak-up-Kultur spielt die Vorbildfunktion der Führungskräfte (siehe auch Maßnahme 1: Haltung zeigen).
- Richtet sich an: Väter und Männer mit Sorgeverantwortung
- Zielt auf: Abbau von einengenden Geschlechterrollen
Beruf und Familie vereinbaren zu können, ist in immer mehr Unternehmen Teil des Employer Brandings und zeigt sich in der Einführung von familienfreundlichen Arbeits- und Meetingzeiten, einer Abkehr von Präsenzkultur sowie Teilzeitangeboten und Jobsharing. Familienfreundlichkeit rechnet sich: Unternehmen binden damit qualifizierte Fachkräfte an sich und fördern die Zufriedenheit ihrer Beschäftigten. Damit Familienfreundlichkeit jedoch nicht die stereotype Rollenverteilung fördert, ist es wichtig, solche Maßnahmen auch explizit und aktiv Männern anzubieten, zum Beispiel durch Beratungen. Denn viele Väter scheuen immer noch davor zurück, vollumfänglich Elternzeit zu nehmen oder in Teilzeit zu arbeiten, weil sie Nachteile für ihre Karriere befürchten.
- Das Netzwerk „Erfolgsfaktor Familie“ bietet viel Praxiswissen für Familien und Unternehmen zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie:
www.erfolgsfaktor-familie.de - Conpadres.de ist ein Unternehmensnetzwerk, das
sich für eine partnerschaftliche Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus der Perspektive von Vätern einsetzt. Es bietet Arbeit gebenden Unterstützung dabei, eine Organisationskultur zu fördern, die sowohl Vätern als auch Müttern eine ausgewogene Work-Life-Balance ermöglicht.
- Richtet sich an: Die gesamte Organisation
- Zielt auf: Sensibilisierung schaffen
Gender Awareness oder Geschlechterbewusstsein bezeichnet das Bewusstsein für Geschlechtergleichstellung und Vielfalt in Bezug auf Geschlecht und Geschlechtsidentität. Es geht darum, Geschlechterstereotype und -vorurteile zu erkennen und abzubauen. Viele der in dieser Handreichung beschriebenen Maßnahmen fördern bereits das Bewusstsein für diese Themen. In einem Awareness Konzept werden solche Schritte jedoch nicht einzeln, sondern strukturiert und im Gesamtpaket umgesetzt. Dabei sollte in einer betrieblichen Bestandsaufnahme auf die spezifischen Probleme und Bedürfnisse der verschiedenen Abteilungen eingegangen werden. Zum Beispiel könnte Verkaufspersonal häufiger mit sexistischen Sprüchen von Kund*innen konfrontiert sein, wohingegen in der Produktion eher Vorurteile gegenüber Frauen am Fließband eine Rolle spielen. In einer Abteilung arbeiten vielleicht besonders viele Frauen mit Migrationshintergrund oder Behinderung, die intersektional von Sexismus betroffen sind, während die Führungsebene überwiegend männlich ist und Sexismus möglicherweise weniger wahrnimmt. Der Vorteil des Awareness-Ansatzes ist, dass Maßnahmen wie Sensibilisierungs- und Trainingsprogramme gezielt und als Teil eines Gesamtkonzepts eingeführt werden.
- Richtet sich an: Betroffene von Sexismus und weiteren Diskriminierungsformen
- Zielt auf: Stärkung der Betroffenen
Empowerment fasst verschiedene Strategien zusammen, die das Selbstwertgefühl von Frauen und anderen diskriminierten Gruppen stärken und ihnen helfen, ihre Interessen selbstständig zu vertreten. In moderierten Empowerment-Trainings tauschen sich diskriminierte Gruppen in geschützten Räumen über ihre Erfahrungen aus und entwickeln gemeinsame Strategien – ohne die Anwesenheit privilegierter Gruppen oder bestehender Machtverhältnisse. Einige Trainings fördern zusätzlich individuelle Fähigkeiten wie rhetorisches Geschick oder den Umgang mit Konflikten. Diese Empowerment-Prozesse werden von Fachleuten geleitet, die selbst Diskriminierung erlebt haben und dadurch über das nötige Wissen und persönliche Erfahrung verfügen.
- Die Bildungswerke politischer Stiftungen oder auch
Gewerkschaften bieten Empowerment-Trainings an. - Mit dem Empowerment-Programm „Gemeinsam
MUTig“ möchte DaMigra e. V. geflüchteten Frauen*
das Ankommen in Deutschland erleichtern und ihnen mehr aktive Teilhabemöglichkeiten schaffen:
www.damigra.de/projekte/gemeinsam-mutig/ueber-das-projekt/ - Der Bundesverband der Migrantinnen leistet im Bereich Arbeitsmarkt mehrsprachige Aufklärungsund Vernetzungsarbeit: www.migrantinnen.net
- Richtet sich an: Betroffene von Sexismus
- Zielt auf: Struktur zur Aufdeckung und Ahndung von Diskriminierung und sexueller Belästigung
Betroffene von Diskriminierung und Belästigung brauchen Unterstützung und wollen sich in der Regel erst einmal ergebnisoffen informieren, um sich über weitere – unter Umständen rechtliche – Schritte Klarheit zu verschaffen. Dabei ist es essenziell, dass sich Betroffene möglicher Fallstricke bewusst sind. Deshalb ist es für einen Betrieb sinnvoll, Basiswissen über den Umgang mit sexueller Belästigung und Diskriminierung bereitzustellen und weitere externe Hilfsangebote – etwa psychologische und rechtliche Beratungen – zu kennen und empfehlen zu können. Es sollte eine oder mehrere Personen benannt und gezielt geschult werden. Dabei ist jedoch zu beachten, dass Personen mit Leitungs- und Aufsichtsfunktion eine Fürsorgepflicht haben und beispielsweise Klärungs- oder Schutzmaßnahmen ergreifen müssen, auch wenn die betroffene Person es nicht möchte. Führungskräfte sind daher als Erstberatungsstelle ungeeignet. Nur so kann sichergestellt werden, dass keine Schritte zur Aufklärung des Sachverhalts ohne explizites Einverständnis der betroffenen Person unternommen werden.
Je nach Situation können unterschiedliche Maßnahmen erfolgen. Im Rahmen des Beratungsgesprächs kann etwa entschieden werden, eine Beschwerde bei der AGG Beschwerdestelle einzureichen, Führungskräfte mit einzubeziehen oder ein persönliches Gespräch mit Vorgesetzten nach AGG zu führen (siehe Maßnahme 12). Auch den Betriebs-/Personalrat einzubeziehen, ist wichtig: Er kann zunächst mit der betroffenen Person die Situation und die Handlungsoptionen klären und die nächsten Schritte ausloten, bevor eine offizielle Beschwerde beim Arbeit gebenden Unternehmen ergeht. Wer Mitglied in einer Gewerkschaft ist, hat darüber hinaus einen Rechtsschutz.
- Die Fachstelle Antidiskriminierungsberatung hat eine Übersicht in Form einer Landkarte über alle Beratungsangebote zu Diskriminierung erstellt. Manche Stellen bieten qualifizierte Antidiskrimininierungsberatung an, manche bieten Erst- und Verweisberatung an, manche zu spezifischen Diskriminierungserfahrungen und/oder Lebensbereichen: fachstelle.antidiskriminierung.org/beratungsstellen/
- Der Verein Frauen gegen Gewalt e. V. bietet Adressen und Telefonnummern von rund 200 Frauennotrufen und Beratungsstellen vor Ort: www.frauen-gegen-gewalt.de/de/hilfe-beratung.html
- Täglich rund um die Uhr kostenfrei erreichbar ist das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“. Betroffene können sich zu jeder Zeit anonym, kompetent, sicher und barrierefrei beraten lassen: www.hilfetelefon.de
- Das Beratungsteam der Antidiskriminierungsstelle des Bundes bietet Unterstützung im Fall einer Diskriminierung oder sexuellen Belästigung:
www.antidiskriminierungsstelle.de - Das Hilfetelefon „Gewalt an Männern“ richtet sich an Männer, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Hier können Männer kostenlos und anonym Kontakt zu qualifizierten Beratern aufnehmen: www.maennerhilfetelefon.de
- Richtet sich an: Betriebsrat, Geschäftsführung
- Zielt auf: Struktur zur Aufdeckung und Ahndung von Diskriminierung und sexueller Belästigung
Seit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes im Jahr 2006 haben Beschäftigte das Recht, sich bei ihren Arbeitgeber*innen zu beschweren, wenn sie sich aufgrund von Herkunft, Aussehen, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Identität diskriminiert fühlen (§ 13 AGG). Arbeitgebende sind verpflichtet, eine Beschwerdestelle einzurichten, also eine Person oder Abteilung innerhalb ihres Betriebs zu benennen, die eine Beschwerde offiziell entgegennimmt. Ihre Beschwerde können Betroffene darüber hinaus gemäß Betriebsverfassungsgesetz auch an den Betriebsrat richten (§ 84 BetrVG). In manchen Fällen ist die Beschwerdestelle ohnehin dort eingerichtet. Die Stelle beziehungsweise Person (einschließlich Orte und verfügbare Zeiten) muss allen Beschäftigten bekannt gemacht werden.
Die Beschwerdestelle ist dazu verpflichtet, jeder Beschwerde nachzugehen. Ebenso muss sie Arbeitgeber* innen über jede Beschwerde informieren. Bestätigt die Beschwerdestelle die Diskriminierung, ist der Betrieb verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Zur weiteren konkreten Ausgestaltung der innerbetrieblichen Beschwerdestelle macht der Gesetzgeber kaum Vorgaben. Deshalb sind Beschwerdestellen in der Praxis unterschiedlich aufgestellt. Es ist jedoch wichtig, dass die Beschwerdestelle durch die Mitarbeitenden als unabhängige, objektive Anlaufstelle für Beschwerden zu Diskriminierungsvorfällen wahrgenommen wird.
- Übersicht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes mit den wichtigsten Fakten zur Beschwerdestelle und zum Beschwerdeverfahren nach § 13 AGG: www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/forschungsprojekte/DEStudie_Betriebl_Beschw_Stellen_nach_P_13_AGG.html
- Handreichung des Bremer Netzwerks gegen Diskriminierung ADA: www.ada-bremen.de/publikationen
- Weitere Hinweise zur Errichtung einer Beschwerdestelle finden sich unter: Egenberger, Vera: Konzept für eine innerbetriebliche Beschwerdestelle nach § 13 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Vorschläge für die Ausgestaltung. www.bug-ev.org/fileadmin/5_Auflage_Konzept_innerbetriebliche_Beschwerdestelle_final.pdf
- Richtet sich an: Veranstaltungsteams von Podien, Fernsehredaktionen, Rekrutierende
- Zielt auf: Sichtbarkeit und Vernetzung von Frauen
Aufgrund von sexistischen Klischees werden Frauen oft
nicht als die Expertinnen wahrgenommen, die sie sind.
Das Klischee, es gebe keine Expertinnen für manche
Themen oder Jobs – zum Beispiel in den Naturwissenschaften oder technischen Berufen –, ist weit verbreitet. Tatsache ist aber: Wo nicht gesucht wird, wird auch nicht gefunden. Expertinnendatenbanken, die die Profile von Frauen sammeln und online zur Verfügung stellen, machen Frauen sichtbar und auffindbar und fördern dadurch auch ihre Vernetzung. Im deutschsprachigen Raum gibt es bislang nur wenige solcher Datenbanken, daher sind zunächst einmal Geldgebende oder Verbände gefragt, die die Finanzierung eines solchen Projekts übernehmen.
Beispiele aus Deutschland
- Übersicht von Datenbanken mit Wissenschaftlerinnen verschiedener Disziplinen: www.ruhr-uni-bochum.de/chancengleich/serviceangebote/wissenschaftlerinnen-datenbanken/index.html
- Rednerinnen, Referentinnen und Moderatorinnen für Konferenzen: www.speakerinnen.org
Beispiele aus dem Ausland
- Richtet sich an: Mitarbeiterinnen (als Mentees), Führungskräfte (als Mentorinnen und Mentoren)
- Zielt auf: Wissensvermittlung und Empowerment der weiblichen Talente
Mentoring ist eine Patenschaft zwischen einem talentierten Mentee und einer erfahrenen Führungskraft und wird in der Führungskräfteentwicklung und im Recruiting häufig genutzt. Wenn bevorzugt Frauen als Mentees ausgewählt werden, können Mentoring Programme den Frauenanteil in Führungspositionen erhöhen, indem sie ein Gegengewicht zu männlich geprägten Netzwerken schaffen, informelles Wissen vermitteln und das Selbstbewusstsein der Mentees stärken. Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Mentor und Mentee sind klare Absprachen, Verbindlichkeit und Engagement auf beiden Seiten wichtig. Zertifizierte Mentoring-Expertinnen und -Experten können bei der Auswahl passender Mentoren und Mentees sowie bei der Vorbereitung und Betreuung unterstützen. Bei der Auswahl der Mentees sollten auch Personen ausgewählt werden, die einen erschwerten Zugang zu solchen Programmen haben, etwa weil sie von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind. Mentoring Programme, die diese zusätzlichen Herausforderungen berücksichtigen, könnten somit dabei helfen, auch für diese Personengruppen faire Chancen zu schaffen.
- Die Deutsche Gesellschaft für Mentoring e. V. (DGM)
vernetzt Mentoring-Expertinnen und -Experten und
zertifiziert hochwertige Mentoringprogramme:
www.dg-mentoring.de
- Richtet sich an: Kundenkreis, Beschäftigte
- Zielt auf: Prävention und Haltung
Nicht zuletzt die Aufmerksamkeit, die #MeToo stiftete, hat gezeigt, dass öffentliche Kampagnen – ob sorgfältig geplant oder spontan zu einem äußeren Anlass – das Bewusstsein der Menschen für Sexismus schärfen. Sogenannte Social-Norms-Kampagnen, die auf Verhaltens- und Einstellungsänderung ihrer Zielpersonen abzielen, werden in den USA seit vielen Jahren von Colleges, Universitäten, Gesundheitsämtern und NGOs eingesetzt (Berkowitz/Mathews 2004). Entwickelt werden Social-Norms-Kampagnen wie herkömmliche Marketingkampagnen auch. Für ihren Erfolg maßgeblich ist die sorgfältige Auswahl der Botschaft, die sich an Erkenntnissen der Verhaltenspsychologie orientieren sollte. Die Forschung zu sozialen Normen legt zum Beispiel nahe, dass die meisten Männer sich unwohl fühlen, wenn sie Zeuge von sexistischen Äußerungen und Verhaltensweisen werden. Gleichzeitig nehmen sie aufgrund ihrer eigenen Sozialisation und gängiger Männlichkeitsideale fälschlicherweise an, dass anderen Männern dieses negative Verhalten nicht unangenehm sei. Eine Kampagne kann verdeutlichen, dass Sexismus von vielen Menschen – Frauen und Männern – abgelehnt wird. Da Kampagnen von ihrer Verbreitung leben und aufwendig sind, kann es sinnvoll sein, sich dazu mit mehreren Organisationen zusammenzuschließen. Einen guten Anlass für Kampagnen bieten die verschiedenen Aktionstage, etwa der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November, der Internationale Frauentag am 8. März, der Equal Pay Day oder der Deutsche Diversity-Tag.
- Richtet sich an: Führungskräfte
- Zielt auf: Überprüfung der eingeleiteten Maßnahmen, strukturelle Veränderung
Betriebliches Monitoring beinhaltet die regelmäßige und systematische Beobachtung und Aufzeichnung von Fortschritten bei der Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen gegen Sexismus. Dieser Prozess schließt nicht nur die Sammlung von Daten ein, sondern auch deren Weitergabe an die Belegschaft. Monitoring soll Informationen zur Verfügung stellen, die für die Analyse der Situation und der Probleme der Zielgruppe nützlich sind, und überprüfbar machen, ob die aus den Maßnahmen entwickelten Angebote gut genutzt werden. Ferner soll es sicherstellen, dass alle Maßnahmen und Aktivitäten von den jeweils kompetenten Verantwortlichen pünktlich umgesetzt werden, und eine Einschätzung ermöglichen, ob die gesetzten Maßnahmen zur Zielerreichung beigetragen haben.
- Richtet sich an: Berufsschulen, Ausbildungsbetriebe
- Zielt auf: Ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem sich alle wohl fühlen
Für junge Menschen am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn ist es wichtig, schon in der Ausbildung zu verstehen, weshalb ein Betrieb von einer vielfältigen Belegschaft profitiert. Indem man das Thema Vielfalt in der Ausbildung verankert, lernen sie, Diskriminierung zu erkennen, zu vermeiden und aktiv dagegen vorzugehen. Wenn Schüler*innen bewusst wird, dass Geschlechterrollen von der Gesellschaft, dem jeweiligen Umfeld und der Zeit geprägt sind, hinterfragen sie Vorurteile. Dies kann helfen zu verhindern, dass Menschen aufgrund ihres Geschlechts in bestimmte Rollen gedrängt werden, und eröffnet mehr sowie gleichere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Dabei geht es nicht nur um Theorie, sondern auch darum zu realisieren, warum Vielfalt für die eigene Branche und das Handwerk wichtig ist. Denn wenn bestimmte Gruppen von Berufen ausgeschlossen werden, fehlen wichtige Perspektiven und Ideen, die zu besseren Arbeitsergebnissen führen würden.
Sexismus, der auf klischeehaften Vorstellungen über Geschlechter beruht, ist oft so unterschwellig im Alltag verankert, dass er schwer zu erkennen ist und zunächst nur ein ungutes Gefühl hinterlässt, das sich jedoch negativ auf das gesamte Betriebsklima auswirken kann. Wird das Thema früh angesprochen, können zum Beispiel auch junge Männer nachvollziehen, welche Erfahrungen ihre Kolleginnen in der Berufswelt machen, selbst wenn sie persönlich nicht betroffen sind. Dadurch wird Solidarität gefördert und Männer werden dazu ermutigt, von Sexismus betroffene Kolleginnen zu unterstützen.
- Mit der Aktualisierung des Rahmenplans zur Ausbilder-Eignungsverordnung (AEVO) im Jahr 2023 wurde das Thema „Wertschätzung anderer“ in Handlungsfeld 3 integriert. Dies umfasst Aspekte wie Diversität, Inklusion und das Sozialgesetzbuch IX (SGB IX). Diese Neuerung ist seit dem 1. Juli 2024 für die Ausbildereignungsprüfung relevant.
- Das Unternehmen Hydro hat einen zweistündigen Workshop zum Thema Vielfalt während der Einführungsfahrt der Auszubildenden verankert. Darüber hinaus unterstützen die Auszubildenden soziale Projekte: www.charta-der-vielfalt.de/erfolgsgeschichten/zeige/diversity-training-in-der-ausbildung-sensibilisierung-zum-thema-vielfalt/
- Das „handwerk-magazin“ bietet einen einfach verständlichen „Klischee-Check“ zum Thema Frauen im Handwerk: www.handwerk-magazin.de/klischeecheck-frauen-koennen-handwerk-233947/
- Die Initiative „Klischeefrei“ setzt sich für eine Berufsund Studienwahl frei von Geschlechterklischees ein: www.klischee-frei.de
- Richtet sich an: Kulturschaffende
- Zielt auf: Veränderung der Struktur des Kulturbetriebs und seiner Inhalte
Um sexistische Darstellungen auf Bühnen und im Film zu ersetzen, ist eine Reflexion der gegenwärtigen Theaterund Filmarbeit nötig, die sich nicht von ihren historisch gewachsenen Geschlechtervorstellungen aus dem 19. Jahrhundert emanzipiert hat. Frauen seien nicht zu genialen schöpferischen Akten fähig – dieses und viele andere Vorurteile sind noch immer vorhanden. Das Theater entstand als rein männliche Welt, in der Frauen lediglich eine marginale Rolle zukam (Hänzi 2013). Ähnliches lässt sich auch für die anderen Kultursparten feststellen. In ihrem wegweisenden Essay „A Room of One’s Own“ monierte die Schriftstellerin Virginia Woolf schon 1929 das Fehlen weiblicher Sichtweisen. Feministische Kulturwissenschaftler*innen wie die Britin Laura Mulvey (1989) kritisierten die männliche (und: weiße, heterosexuelle und bürgerliche) Perspektive in Theaterstücken und Filmen seit den 1970er-Jahren als „männlichen Blick“.
2022 beschrieb die ZDF-Schauspielerin Yun Huang eine nach wie vor LGBTI-feindliche Atmosphäre an vielen Sets: „Man spürt ja auch, wie der Ton an manchen Filmsets ist. Oft habe ich es leider schon so empfunden, dass es an den Sets noch keine Offenheit gab. Ich habe dann Witze über Homo- oder Transsexuelle gehört. Auch sexistische Witze. In solchen Situationen wird mir bewusst, dass da kein Raum für mich ist.“ Eine Reflexion der sexistischen Geschichte des Theaters und der aus ihr resultierenden Praktiken auf und hinter der Bühne beziehungsweise vor und hinter der Kamera erfolgt heutzutage in film- und theaterrelevanten Studiengängen, kann aber auch zu jedem späteren Zeitpunkt stattfinden, zum Beispiel auf Festivals oder in Workshops.
- Die wenigen institutionellen Angebote zum Thema
Kultur und Sexismus sind meist eingebettet in das
Thema Diversity und Inklusion. Angebote für Berliner
Institutionen bietet Diversity Arts Culture, ein Berliner
Projektbüro für Diversitätsentwicklung:
diversity-arts-culture.berlin
- Richtet sich an: Auftraggeber*innen und Auftragnehmer*innen von Film- und Theaterproduktionen, Filmfördernde, Drehbuchschreibende
- Zielt auf: Sichtbarmachen und Reflexion von Sexismus, andere Verteilung von Fördergeldern
Zur besseren Beurteilung von Sexismus in Kulturproduktionen haben einige Personen und Institutionen Checklisten entwickelt. Der Bechdel-Wallace-Test oder der darauf aufbauende Mako-Mori-Test beispielsweise stellen wenige einfache Fragen zur Rolle von Frauen in Filmen. Im Bechdel-Wallace-Test lauten sie: Gibt es mindestens zwei Frauenrollen? Sprechen sie miteinander? Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann? Im Mako-Mori-Test wird gefragt: Hat der Film einen weiblichen Charakter mit eigenem Handlungsstrang, der nicht die männliche Geschichte stützt? Solche Fragen geben einen Anhaltspunkt, ob ein Film weibliche Lebensrealitäten behandelt oder ob Frauen im Plot nur dazu dienen, die Entwicklung einer männlichen Hauptfigur voranzutreiben. Mittlerweile gibt es erweiterte Listen, um auch andere Diversitätskriterien abzufragen, wie etwa den Kent-Test (intersektionale Perspektive), den Vito-Russo- Test (LGBTI-Charaktere) oder den DisRep-Test (Charaktere mit Behinderung).
In Schweden nutzen einige Kinos den Test als Teil eines Ratingsystems für ihr Publikum. 2014 nahm der europäische Filmförderungsfonds Eurimages den Bechdel-Test in sein Bewerbungsverfahren auf, um Informationen über die Gleichstellung der Geschlechter in seinen Projekten zu sammeln (Council of Europe o. J.). Im Jahr 2018 begannen Drehbuchsoftware-Unternehmen, Funktionen zu integrieren, mit denen Autorinnen und Autoren ihre Drehbücher auf Geschlechterdarstellungen analysieren können (Ryzik 2018). 2020 führte die Moin Filmförderung eine offizielle Diversity-Checkliste ein, die auf die vielfältige Repräsentation vor und hinter der Kamera abzielt und Antragstellende dazu anregt, Filmstoffe kritisch zu hinterfragen (Moin Filmförderung 2024).
- Checklisten der Moin Filmförderung, die auf Entwicklung, Produktion und Verleih abzielen: moin-filmfoerderung.de/diversity
- Auch die Film- und Fernsehproduktionsfirma UFA hat 2020 Leitlinien und Kriterien für mehr Diversität vor und hinter der Kamera entwickelt: www.ufa.de/karriere/arbeiten-bei-der-ufa/ufa-erstes-deutsches-unterhaltungsunternehmenmit-diversitaets-selbstverpflichtung
- Die Neropa-Methode (kurz für: neutrale Rollen-Parität) wurde von der Schauspielerin Belinde Ruth Stieve als Methode zur Erhöhung des Frauenanteils in Drehbüchern und Theaterstücken entwickelt. Drehbücher lassen sich damit nachträglich geschlechtergerechter und diverser gestalten. neropa.stieve.com
- Richtet sich an: Kulturschaffende
- Zielt auf: Sichtbarmachen von Frauen, Abbauen von Geschlechterstereotypen
Geschlechtergerechte Sprache nimmt die Gleichberechtigung von Männern und Frauen in der Kommunikation ernst und vermeidet die sprachliche Diskriminierung von trans und inter Personen. Im Deutschen wird gewohnheitsmäßig das generische Maskulinum verwendet: Männliche Substantive und Pronomen werden auch dann gebraucht, wenn alle Geschlechter gemeint sind. So wird aus einer Gruppe, die aus 99 Ärztinnen und einem Arzt besteht, eine Gruppe von 100 Ärzten. Durch die Verwendung des generischen Maskulinums verschwinden Frauen und nichtbinäre Personen im Sprachgebrauch (Journalistinnenbund o. J.). Studien haben gezeigt, dass der Gebrauch des generischen Maskulinums tatsächlich dazu führt, dass sich Menschen bei rein männlichen Berufsbezeichnungen in erster Linie Männer vorstellen – die Wirklichkeit wird nicht angemessen dargestellt, sondern verzerrt (Klein 2004). Die deutsche Sprache bietet zahlreiche Möglichkeiten, die Wirklichkeit korrekt abzubilden, etwa mit substantivierten Partizipien wie „Teilnehmende“ oder Genderzeichen wie „Teilnehmer*innen“, „Teilnehmer_innen“ oder „Teilnehmer:innen“.
- Plattform Genderleicht des Journalistinnenbundes:
www.genderleicht.de - Diewald, Gabriele/Steinhauer, Anja (2017):
Richtig gendern. Wie Sie angemessen und verständlich schreiben. Berlin. - Praxisstudie der Antidiskriminierungsstelle des
Bundes: www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Expertisen/geschlechterdiversitaet_i_beschaeftigung_u_beruf.html?nn=6569158
- Richtet sich an: Bildredaktionen, Fotograf*innen
- Zielt auf: bessere Abbildung der Realität ohne Klischees
Fotos spielen eine entscheidende Rolle in der Berichterstattung, da sie unser Verständnis von Artikeln, Themen und Menschen prägen. Daher ist es wichtig, dass sie die Realität möglichst wertfrei widerspiegeln. Dennoch sind viele Bilder oft von Vorurteilen, Klischees und Stereotypen beeinflusst. Eine bewusste Auseinandersetzung und das Befolgen einiger Regeln kann helfen, Klischees nicht nur zu vermeiden, sondern sogar aufzubrechen. Besonders bei Themen, die Diskriminierung oder stigmatisierte Gruppen betreffen, ist es wichtig, unterschiedliche Perspektiven zu zeigen. Gruppenfotos können dazu beitragen, Stereotypisierung zu vermeiden und die Vielfalt innerhalb von Gruppen darzustellen. Um gesellschaftliche Diversität zu repräsentieren, sollte man sich fragen, welche weiteren Personen und Perspektiven in die Bildgestaltung einfließen können.
- Der LSVD hat eine Checkliste für Fotograf*innen und Redaktionen für die Erstellung und Nutzung von klischeefreien Bildern erarbeitet: Diskriminierungsarme Bild-Berichterstattung: Tipps und Checklisten für Redaktionen und Fotograf*innen: www.lsvd.de/de/ct/1001-Diskriminierungsarme-Bild-Berichterstattung-Tipps-und-Checklistenfuer-Redaktionen-und-Fotograf-innen
- Die Bilddatenbank www.gesellschaftsbilder.de ist eine Fotodatenbank für alle, die für ihre Arbeit Bilder fernab von Klischees suchen.
- Auf der Webseite genderleicht&bildermächtig des Journalistinnenbundes finden sich Hinweise, wie eine geschlechtergerechte Bildauswahl gelingen kann:www.genderleicht.de/bilderkritik/
- Richtet sich an: Organe der öffentlichen und privaten Kulturfinanzierung
- Zielt auf: Strukturveränderung
Die Haushaltsplanung, also die Budgetierung öffentlicher Gelder, gilt als ein wichtiges politisches Steuerungsinstrument. Gender Budgeting will mit strategisch eingesetzten Instrumenten Frauen und Männern sowie Mädchen und Jungen den gleichen Zugang zu den öffentlichen Haushaltsmitteln gewähren. Es wird in der EU seit Mitte der 1990er-Jahre als wirksames Mittel zur Durchsetzung von Gleichberechtigung gesehen (Frey 2010), ist aber in Deutschland auf Landesebene nur vereinzelt (hervorzuheben seien Hamburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Berlin) und vorwiegend auf kommunaler Ebene verbreitet (Deutscher Bundestag 2016). Auf Bundesebene wird Gender Budgeting als Instrument nicht eingesetzt. Die Zuständigkeit für Gender Mainstreaming – und damit einhergehend Gender Budgeting – liegt bei den einzelnen Ressorts. In der Haushaltsaufstellung werden sogenannte Spending-Review-Verfahren mit einer Analyse der geplanten Ausgaben genutzt, um Genderwirkungen zu beobachten. Für die Kulturförderung würde Gender Budgeting bedeuten, dass etwa öffentliche Fördergelder, Gehälter, Honorare oder Preisgelder gleichermaßen auf Männer und Frauen verteilt würden. Gender Budgeting könnte an Theatern und Opernhäusern, bei öffentlichrechtlichen Sendern, bei Filmfördereinrichtungen, Filmhochschulen und Festivals eingeführt werden.
In Österreich ist Gender Budgeting seit 2009 verpflichtend für Bund, Länder und Gemeinden (Budgetdienst Republik Österreich 2019: 15). Im österreichischen Bundesfinanzgesetz von 2018 wurde für den Bereich Kunst und Kultur beschlossen, dass der Frauenanteil der Einzelpersonenförderung des Bundes im Kunstbereich 49 Prozent betragen soll und dass Startstipendien zu 55 Prozent an junge Künstlerinnen vergeben werden sollen (ebd.: 19). Für den Bereich Film werden mindestens 50 Prozent des jährlichen Budgets für Arbeitsstipendien im Bereich Film durch das österreichische Bundeskanzleramt an Frauen vergeben.
- Das Frauenbüro der Stadt Münster bietet einen Leitfaden mit zehn Schritten für ein gelungenes Gender Budgeting auf kommunaler Ebene: www.stadt-muenster.de/fileadmin/user_upload/stadt-muenster/17_gleichstellung/pdf/haushaltfair-teilen.pdf
- Informationen zum österreichischen Gender-
Budgeting-Ansatz: blog.imag-gendermainstreaming.at
- Richtet sich an: Filmfördernde
- Zielt auf: Höhere Beteiligung von Frauen an Produktionen
Das Österreichische Filminstitut (ÖFI), Österreichs größte Filmförderungseinrichtung, hat 2016 einen Maßnahmenkatalog zur verstärkten Beschäftigung weiblicher Filmschaffender beschlossen. Sein Herzstück ist ein Gender-Incentive: Weist ein Filmprojekt einen signifikanten Anteil an weiblichen Beschäftigten in Produktion, Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt, Ton, Kostüm und Szenenbild auf, erhält die Produktionsfirma automatisch zusätzliche Fördermittel in Höhe von 30.000 Euro, die für die Entwicklung neuer Projekte mit einem entsprechenden Frauenanteil verwendet werden können. Die anschließende Evaluierung der Maßnahme zeigte, dass in nahezu allen Positionen, die Gender-Incentive-Punkte brachten, der Anteil von Frauen gestiegen ist.
- Maßnahmenkatalog des ÖFI: filminstitut.at/institut/equality
- Richtet sich an: Veranstalter*innen, Journalist*innen
- Zielt auf: Höhere Beteiligung von Flinta in der Musikbranche
Die Sichtbarkeit und Vernetzung von FLINTA (Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht binäre, trans und agender Personen) in der Musikbranche ist entscheidend, um Barrieren abzubauen und die Teilhabe an einer männerdominierten Industrie zu stärken. Um diese Ziele zu unterstützen, bieten zwei zentrale Datenbanken wertvolle Ressourcen:
- Bundesweite Datenbank von Music Women Germany: Diese Plattform richtet sich an FLINTA in allen Bereichen der Musikbranche in Deutschland und bietet eine umfassende Möglichkeit zur Vernetzung und Sichtbarkeit. Ob Musikerinnen, Produzentinnen, Managerinnen oder Veranstalterinnen – hier können FLINTA ihre Profile anlegen und von Veranstalter*innen, Festivals und Labels leichter gefunden werden. www.musicwomengermany.de/profiles
- Weltweite Datenbank von Female Pressure: Diese internationale Plattform ist speziell für FLINTA in der elektronischen Musikszene. Die Datenbank vereinfacht den Zugang zu globalen Kontakten und ermöglicht FLINTA in der elektronischen Musikszene, sich weltweit zu vernetzen und neue Chancen zu erschließen. www.femalepressure.net
- Richtet sich an: Staatlich geförderte Opern- und Theaterhäuser, Orchester und Theater- und Musikhochschulen, öffentlich-rechtliche Sendeanstalten, Filmförderinstitutionen, Filmhochschulen und Festivals
- Zielt auf: Strukturveränderung, Verteilung von Machtpositionen und Sichtbarkeit von Frauen
Quoten erleichtern Frauen den Zugang zur Kultur- und Medienbranche und fördern ihre Repräsentation auf Bildschirmen und Bühnen (Loist 2018). Die feministische Organisation Pro Quote Film, gegründet 2014, setzt sich neben Gender Budgeting für eine Reihe von Maßnahmen ein: Sie fordert eine ausgewogene Darstellung weiblicher und männlicher Rollen in Film- und TV-Produktionen, verbindliche Zielgrößen für Frauen in Führungspositionen bei öffentlich-rechtlichen Sendern und Filmförderinstitutionen sowie eine paritätische Besetzung von Aufsichts-, Beratungs- und Vergabegremien sowie von Jurys in öffentlich-rechtlichen Anstalten, Filmförderinstitutionen, Filmhochschulen und Festivals.
Die Filmproduktionsfirma Studio Hamburg führte bereits 2016 eine 50-Prozent-Quote für Regisseurinnen ein (Pro Quote Film o.J.). Die Degeto Film GmbH, eine Tochter der ARD, setzte 2015 eine Frauenquote von 20 Prozent für Regisseurinnen um. Pro Quote Medien, eine Initiative von 300 Journalistinnen, konzentriert sich auf die Redaktionen und fordert einen Frauenanteil von 50 Prozent in Führungspositionen.
Die Organisation Neue deutsche Medienmacher*innen kritisiert, dass nur sechs Prozent der Chefredakteurinnen der reichweitenstärksten Medienhäuser einen Migrationshintergrund haben, wobei niemand von ihnen Schwarz, muslimisch oder Teil der größten Einwanderergruppen (türkisch-, polnisch- oder russischsprachig) ist (Neue deutsche Medienmacher*innen 2020). Daher fordert die Organisation eine Diversitätsquote von 30 Prozent sowie eine stärkere Repräsentation von Journalist*innen mit Migrationshintergrund, schwarzen Medienschaffenden und Journalist*innen of Color in deutschen Medien.
Anna Serner, Leiterin des Schwedischen Filminstituts, erreichte mit konkreten Zielvorgaben, dass mindestens 40 Prozent der geförderten Projekte von Frauen umgesetzt wurden und somit ein hohes Maß an Geschlechtergerechtigkeit erreicht wurde (Swedish Film Institute 2020). Der britische öffentlich-rechtliche Rundfunk BBC führte 2020 weitreichende Diversitätsquoten ein: 50 Prozent der Moderations- und Sprecher*innenrollen sollen mit Frauen besetzt sein, ergänzt durch Zielvorgaben von 15 Prozent für Black, Asian and Minority Ethnic (BAME), 8 Prozent für Menschen mit Behinderung und 8 Prozent für LSBTI-Mitarbeitende. Zudem plant die BBC, den Frauenanteil in Führungspositionen auf 50 Prozent und den Anteil von BAME-Mitarbeitenden in Führungsrollen von 11,5 auf 15 Prozent zu steigern.
Die Organisation Pro Quote Bühne, gegründet 2017, setzt sich für eine Frauenquote von mindestens 50 Prozent in allen künstlerischen Ressorts an Opern- und Theaterhäusern deutschlandweit ein, vor allem in Leitungspositionen wie Intendanzen, Direktionen und Regie. Zudem fordert sie eine stärkere Verankerung von Gender Budgeting und Gender Mainstreaming.
- Eine Sammlung guter Praktiken, um Geschlechtergerechtigkeit in der Filmindustrie zu erreichen, hat das European Women’s Audiovisual Network zusammengestellt: www.ewawomen.com/gender-inequality-in-the-film-industry/good-practices
- Richtet sich an: Betroffene von sexualisierter Gewalt, Kommunen, Wissenschaft
- Zielt auf: Strukturveränderung
Ein großes Problem im Kampf gegen Sexismus im öffentlichen Raum ist der Mangel an Informationen über Vorfälle und betroffene Orte. Fachleute vermuten eine hohe Dunkelziffer. Kommunen sind oft unsicher, wo sie gezielt Maßnahmen ergreifen können, um die Sicherheit und das Sicherheitsgefühl ihrer Bürgerinnen und Bürger zu erhöhen. Umfragen oder Veranstaltungen zur bürgerschaftlichen Beteiligung können hierbei hilfreich sein. Eine weitere niedrigschwellige Möglichkeit bieten Smartphone-Apps, mit denen Betroffene sexistische Vorfälle direkt melden können. Dies verschafft den Verantwortlichen eine bessere Datenbasis und erhöht die Transparenz. Die erste App für ein solches Monitoring, „Harass-Map“, entstand 2011 im Zuge der ägyptischen Revolution. Seitdem haben unter anderem mehrere Städte in Frankreich, Indien, Tokio, Brüssel und Zürich ähnliche Anwendungen entwickelt, um sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum einzudämmen. Zudem gibt es mittlerweile einige kommerzielle Anbieter, wie etwa OwnCity, Civitas oder Safetypin. Eine solche App ersetzt jedoch nicht die Notrufnummer 110, die bei akuter Gefahr für Leib und Leben immer gerufen werden sollte.
- Die „Meldestelle Antifeminismus“ nimmt sexistische, frauenfeindliche und LGBTI-feindliche Vorkommnisse auf. Dazu gehören: menschenfeindliche Botschaften, Angriffe auf Gleichstellung, politische Strategien gegen Emanzipationsbestreben. antifeminismus-melden.de
- Richtet sich an: Kommunen, Bürger*innen
- Zielt auf: Prävention gegen sexuelle Belästigung, Erste Hilfe bei sexueller Belästigung
Die kritische Männlichkeitsforschung, die sich mit den Auswirkungen männlicher Dominanz auf Frauen und Männer befasst, hat in verschiedenen Studien gezeigt, dass Alkoholkonsum auf Festen, Festivals, in Bars oder Clubs die Hemmschwellen in Bezug auf sexuelle Belästigung senken kann (Thompson/Cracco 2008: 83). Ähnlich wie bei sexueller Belästigung in anderen Kontexten sind die Täter überwiegend männlich, während die Opfer meist weiblich sind (Graham et al. 2014). Deshalb ist es sinnvoll, zu solchen Anlässen Vorkehrungen zu treffen, etwa durch Anlaufstellen oder Interventionen geschulter Awareness-Teams, die als Ansprechpersonen für Menschen dienen, die sich unwohl fühlen (Barrière 2020). Kommunen können in Zusammenarbeit mit lokalen Frauennotrufen oder Beratungsstellen für Opfer sexualisierter Gewalt vor Ort Anlaufstellen mit geschultem Personal einrichten.
- Adressen und Telefonnummern von rund 200 Frauennotrufen und Beratungsstellen vor Ort: www.frauen-gegen-gewalt.de/de/hilfe-beratung.html
- Richtet sich an: Kommunen, Verkehrsbetriebe
- Zielt auf: Sichtbarmachen und Prävention gegen sexualisierte Gewalt im öffentlichen Raum
Kampagnen und Aktionen können das Thema sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum und/oder in öffentlichen Transportmitteln ins Bewusstsein rücken und dazu beitragen, dass solche Tatbestände häufiger erkannt und angezeigt und mögliche Tatpersonen abgeschreckt werden. Der Vorteil des öffentlichen Raumes ist, dass sich hier ganz unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen aufhalten und erreicht werden können. Eine niedrigschwellige Variante zur Entwicklung einer eigenen Kampagne wäre das Erstellen von Stickern und Flyern sowie das Auslegen und Aushängen von Informationsmaterialien und Telefonnummern für Betroffene von sexualisierter Gewalt in öffentlichen Gebäuden oder im öffentlichen Personennahverkehr – und zwar mehrsprachig und barrierefrei.
- Der Fachverband für Außenwerbung (FAW e.V.) bietet die Möglichkeit, vergünstigt eine Kampagne in den öffentlichen Raum zu tragen. Landesweit kann so für einen gemeinnützigen, nicht kommerziellen Zweck geworben werden. Die Außenwerbeunternehmen stellen hierzu ihre Werbeflächen zu den technischen Kosten – also ohne die üblichen Mediakosten – zur Verfügung. www.faw-ev.de
- 2023 hat das Gleichstellungsbüro der Stadt Dortmund in Kooperation mit der Fachhochschule Dortmund eine Kampagne gegen Sexismus im öffentlichen Raum gestartet. Sie macht auf das weitverbreitete Problem der sexuellen Belästigung im öffentlichen Raum aufmerksam, empowert Frauen und sensibilisiert die Bevölkerung für das Thema. www.dortmund.de/themen/frauen-lsbtiq-undgleichstellung/gleichstellung/gewalt-gegen-frauen/kampagne-gegen-sexuelle-belaestigung-imoeffentlichen-raum/
- Richtet sich an: ÖPNV-Unternehmen und Fahrgäste
- Zielt auf: Erhöhung des Sicherheitsgefühls
Um den öffentlichen Personennahverkehr komfortabler zu gestalten, haben einige ÖPNV-Unternehmen bedarfsorientierte Angebote eingeführt, die die Wartezeiten an Bushaltestellen verkürzen und Teile der Fahrt oder sogar die gesamte Strecke übernehmen. Diese Angebote bieten nicht nur einen erweiterten Service, sondern erhöhen auch das Sicherheitsgefühl der Fahrgäste, besonders nachts. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) starteten 2020 eine Ausschreibung für ein Rufbus-Projekt. In Gegenden mit schwacher ÖPNV-Anbindung sollen die Rufbusse Lücken schließen und Fahrgäste möglichst direkt zu Tram-, S- oder U-Bahnstationen bringen. Die Verkehrsbetriebe Hamburg (VHH) hat seit 2018 ein ähnliches Shuttlekonzept etabliert: Elektroautos bringen Fahrgäste in ausgewählten Randbezirken von der Haltestelle direkt bis zur Haustür. Die Fahrzeuge sind rund um die Uhr auf Abruf verfügbar und können über die App „hvv hop“ bestellt werden; der Service kostet einen Aufpreis auf die reguläre Fahrkarte. Auch individuellere Ridesharing- Angebote wie BVG Muva online (Berlin) oder MOIA (Hamburg und Hannover) erfreuen sich großer Beliebtheit. Diese Angebote folgen, ähnlich wie Taxis, einem Rufprinzip und nehmen auf dem Weg mehrere Fahrgäste auf. Zusätzlich hat die BVG die App Jelbi eingeführt, die für eine individuelle Route mehrere Verkehrsmittel kombiniert und so lange Wartezeiten vermeidet.
- Richtet sich an: Polizei und Justiz
- Zielt auf: Strukturveränderung
Die Reform des Sexualstrafrechts von 2016 hat den strafrechtlichen Schutz vor sexuellen Belästigungen deutlich verbessert. Die in der Strafverfolgungsstatistik ausgewiesene Zahl der Verurteilungen wegen sexueller Belästigung gemäß § 184i StGB ist in den ersten drei Jahren seit Inkrafttreten des neuen Straftatbestands überraschend hoch. Dies zeigt, dass die Reform in der Praxis Wirkung zeigt. Dennoch kritisieren Opferanwältinnen und -anwälte, dass nicht alle zur Anzeige gebrachten Straftaten konsequent strafrechtlich verfolgt werden. So stellt Prof. Dr. Ulrike Lembke (2016), Richterin am Berliner Verfassungsgericht, fest, dass Justiz und Behörden häufig noch von veralteten moralischen Vorstellungen über Sexualität beeinflusst sind, die sich auf die Rechtsprechung auswirken. Weit verbreitet ist etwa die Vorstellung, Frauen könnten durch ihr eigenes Verhalten (z.B. Alkoholkonsum, Kleidung) zur Belästigung beitragen. Ebenso gehört die Annahme, dass es bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung besonders viele Falschanzeigen gebe, ins Reich der Mythen. Auch rassistische Stereotype spielen laut Betroffenen eine Rolle in der Rechtsprechung und Strafverfolgung, wenngleich hierzu keine Studien in Deutschland vorliegen. Aufgrund dieser problematischen Annahmen werden entsprechende Straftaten in der Praxis nicht immer professionell behandelt. Der Deutsche Juristinnenbund (2018) fordert daher bessere Information und Fortbildung für Gerichte, Staatsanwaltschaften und Polizei.
- Richtet sich an: Kommunen, Außenwerbende, Bürger*innen
- Zielt auf: Stoppen und Verhindern von Sexismus in der Werbung, Sichtbarmachen von Sexismus
Einige Städte und Kommunen haben Beschwerdestellen für sexistische Werbung im öffentlichen Raum eingerichtet. In den meisten Städten übernimmt der Deutsche Werberat diese Funktion. Anhand eines transparenten Kriterienkatalogs entscheidet er, ob eine Werbung sexistisch oder auf andere Weise diskriminierend ist. Die Mitglieder des Fachverbands für Außenwerbung (FAW) – die Mehrheit der Unternehmen in Deutschland, die Werbeträger betreiben – unterstützen den Deutschen Werberat und folgen den Verhaltensregeln gegen Herabwürdigung und Diskriminierung von Personen. Dies beinhaltet unter anderem die Prüfung von Motiven vor dem Aushang der Werbung. Für die Beschäftigten seiner Mitgliedsunternehmen organisiert der FAW Sensibilisierungstrainings, die vom Deutschen Werberat durchgeführt werden. So soll bereits im Vorfeld ein geschulter Motivcheck sichergestellt werden.
Jede Beschwerde, die beim Werberat eingeht, wird zunächst von der Geschäftsstelle geprüft. Wird eine Beschwerde als offensichtlich unbegründet eingestuft, erfolgt eine Zurückweisung mit entsprechender Begründung. Andernfalls erhält das betroffene Unternehmen die Gelegenheit zur Stellungnahme, die in die Entscheidungsgrundlage einfließt. Kommt der Werberat zu dem Ergebnis, dass kein Verstoß gegen die Verhaltensregeln vorliegt, wird die Beschwerde abgewiesen, und das werbende
Unternehmen wird schriftlich über die Entscheidung informiert.
Stellt das Entscheidungsgremium des Werberats jedoch einen Verstoß gegen seinen Kodex fest, fordert es das werbende Unternehmen auf, das betroffene Werbemittel zu ändern oder einzustellen. Der Werberat setzt sich in der Regel direkt bei den betroffenen Unternehmen mit seinen Beanstandungen durch (Durchschnitt der letzten vier Jahrzehnte: 94 Prozent). Nur in Ausnahmefällen muss das Gremium eine öffentliche Rüge aussprechen, die über eine Pressemitteilung verbreitet und von den Medien aufgegriffen wird. Diese Maßnahme führt in den meisten Fällen dazu, dass das betroffene Unternehmen zukünftig gesellschaftlich akzeptierte Werbung verwendet.
- Leitfaden des Deutschen Werberats: werberat.de/leitfaden-zum-werbekodex-des-deutschen-werberats/
- Der Deutsche Werberat berät Kommunen zum Vorgehen gegen sexistische Werbung: Telefon: (030) 59 00 99 700, werberat@werberat.de
- Richtet sich an: Stadtplaner*innen
- Zielt auf: Baumaßnahmen, die für vielfältige Nutzer*innen optimiert werden
Beteiligungsprozesse von Ortsansässigen gelten im Städtebau als ein wichtiges Instrument, um eine hohe Akzeptanz für Baumaßnahmen bei den Bürgerinnen und Bürgern zu erreichen. Sie sind aufwendig, rechnen sich jedoch auf lange Sicht: Durch Beteiligungsverfahren fließen vielfältige Perspektiven ein, was die Planung bedarfsorientierter und nachhaltiger werden lässt. Damit Beteiligungsverfahren die Perspektiven aller Personengruppen gleichermaßen berücksichtigen, gibt es einiges zu beachten. So weisen konventionelle Formen der Beteiligung, wie etwa Versammlungen, Runde Tische, Meinungsumfragen und Anhörungen, Defizite auf, weil sich in diesem Rahmen meist diejenigen zu Wort melden, die wortgewandt und politisch engagiert sind. Ein großer Teil der von den Planungsergebnissen Betroffenen bleibt also unberücksichtigt. Deswegen sollte in diesen Beteiligungsformaten immer mit einer gender- und vielfaltbewussten Ansprache, Moderation und Ergebniskontrolle gearbeitet werden, um sicherzustellen, dass wirklich die unterschiedlichen Gruppen zu Wort kommen. Sinnvoll ist es, auch andere Beteiligungsformen ergänzend zu nutzen, etwa projektorientierte Arbeit in Workshops oder Arbeitskreisen, gemeinsame Spaziergänge mit Betroffenen durch ein Planungsgebiet oder Werkstattformate (Stadt Braunschweig o. J.: 26).
- Richtet sich an: Kommunen, Bürger*innen, ÖPNV-Fahrgäste
- Zielt auf: Struktur
Städtebauliche Maßnahmen können das Sicherheitsgefühl der Stadtbewohner*innen direkt beeinflussen und sich etwa auf die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln auswirken. Die folgenden Hinweise beziehen sich auf die Planung neuer Verkehrswege und Wohngebiete sowie auf die Umgestaltung bestehender Orte, die bereits bei einem Monitoring als sogenannte Angstorte bekannt geworden sind. In der Verkehrsplanung gilt: Für Fußgänger*innen sind tagsüber andere Kriterien wichtig als nachts. Während tagsüber vor allem die Sicherheit im Straßenverkehr und ein möglichst ansprechender Weg – zum Beispiel durch Parkanlagen – eine Rolle spielen, stehen nachts der Schutz vor Gewalt und das Sicherheitsgefühl im Vordergrund. Als besonders bedrohlich werden Unterführungen wahrgenommen. Falls sie unvermeidbar sind, sollten sie hell und geradlinig gestaltet werden, damit sie möglichst einsehbar sind. Damit Busse auch nachts genutzt werden, sollten Haltestellen in nächstmöglichem Abstand zu Wohnzonen gewählt werden, denn Sicht- und Hörbezüge zwischen bewohntem Gebiet und Wartebereich erhöhen das Sicherheitsgefühl. Die nähere Umgebung der Haltestelle sollte übersichtlich gestaltet und gut beleuchtet werden. An Knotenpunkten des öffentlichen Nahverkehrs außerhalb der Wohngebiete können zum Beispiel Kioske mit Abendverkauf eingerichtet werden (Glatt/Osswald 1997: 57–75).
- Die Stadt Basel hat 1997 eine Umfrage zum Thema Sicherheit im öffentlichen Raum durchgeführt und daraufhin umfangreiche stadtplanerische Empfehlungen entwickelt: www.planungsamt.bs.ch
- Richtet sich an: Stadtverwaltung, Bürger*innen
- Zielt auf: Unsicherheitsgefühl im öffentlichen Raum verringern
Das subjektive Sicherheitsgefühl spielt eine zentrale Rolle, damit alle den öffentlichen Raum gleichermaßen nutzen können. Eine verbesserte städtische Infrastruktur, etwa durch ausreichende Beleuchtung und offene, gut einsehbare Plätze, trägt ebenso dazu bei wie belebte Straßen und eine aktive Nachbarschaft, die soziale Kontrolle zu fördern und Sicherheit zu vermitteln. Gemeinschaftsprojekte wie Nachbarschaftsaktionen oder Gemeinschaftsgärten können das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken und den öffentlichen Raum wieder als sicheren Ort etablieren. Kommunen haben die Möglichkeit, durch solche Bürgerbeteiligungen die soziale Verantwortung zu fördern und den öffentlichen Raum für alle sicherer zu gestalten.
- Die Stadt Wien unterstützt die Einrichtung von Nachbarschaftsgärten aktiv durch Beratung und finanziell. Weitere Informationen: www.wien.gv.at/umwelt-klimaschutz/nachbarschaftsgaerten.html
- Richtet sich an: Stadtverwaltung, Bürger*innen
- Zielt auf: Sichtbarmachen, Abbau von Geschlechterstereotypen
Straßen, Plätze, öffentliche Gebäude und ihre Namen sind Bestandteil unseres Alltags im städtischen Raum. In Adressangaben, bei Wegbeschreibungen oder Ansagen in öffentlichen Verkehrsmitteln hört, liest oder sagt man sie – meist beiläufig und gänzlich unhinterfragt. Häufig wurden und werden Straßen, Plätze und öffentliche Gebäude zu Ehren wichtiger Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Gesellschaft benannt – und diese waren in der Vergangenheit in der Regel männlich. In Bremen (Regener 2017: 13) und in Berlin-Mitte liegt das Verhältnis zwischen Männer- und Frauennamen bei zehn zu eins; in anderen Städten und Gemeinden sieht es ähnlich aus. Durch diese Überrepräsentanz verstärkt sich unterbewusst der Eindruck, der öffentliche Raum sei ein männlicher. Viele Kommunen haben deshalb beschlossen, Straßen und Plätze künftig verstärkt nach Frauennamen zu benennen. Um das Geschlechterverhältnis hier zu verbessern, hat Berlin-Mitte zum Beispiel explizit geregelt, dass Namen von Frauen besondere Berücksichtigung finden sollen. Weil jedoch Umbenennung aufgrund des Aufwands, den etwa Anwohnende haben, in der Regel nicht erwünscht ist, wird eine 50/50-Verteilung nicht zu erreichen sein (Hobrack 2017).