Good Practice
28.08.2023

Schuld trägt nicht das Opfer: Die Ausstellung “Was ich anhatte…” beleuchtet victim blaming

Good Practices gegen Sexismus können als Inspiration dienen und zeigen konkrete Lösungsansätze auf. Um aus den Erfahrungen der Bündnispartner*innen zu lernen, veröffentlichen wir regelmäßig gute Praxisbeispiele aus dem Bündnis “Gemeinsam gegen Sexismus”. Heute: Die Ausstellungen “Was ich anhatte…” und “Was ich anhabe…” zu den Themen sexualisierte Gewalt, Täter-Opfer-Umkehr und Diskriminierung von Frauen in Beruf und Karriere.

 

 

“Wenn du so einen kurzen Rock trägst, brauchst du dich nicht zu wundern …”. Mit diesen Äußerungen sind Personen, insbesondere Frauen, die Opfer von Sexismus oder sexueller Gewalt geworden sind, leider oft vertraut. Unabhängig davon, ob es sich um verbale oder körperliche Übergriffe handelt, finden sich Betroffene oft in der Position wieder, sich für das Erlebte erklären oder sogar rechtfertigen zu müssen. Dabei spielt häufig die bei der Tat getragene Kleidung eine Rolle.

Dieses Phänomen wird als „Täter-Opfer-Umkehr“ (victim blaming) bezeichnet. Dabei wird die Schuld sowie die Verantwortung für die Tat von den Täter*innen oder von unbeteiligten Dritten auf die Betroffenen verschoben.

Die Ausstellungen „Was ich anhatte…“ und „Was ich anhabe…“ zeigen, dass die Kleidung der Betroffenen nichts mit den Taten zu tun hat. Ausgestellt werden z.B. ein Sommerkleid einer Schülerin, die Lederjacke einer jungen Frau oder die OP-Kleidung einer Chirurgin. Betroffene bekommen durch die Ausstellung die Möglichkeit, ihre Geschichte zu erzählen und zeigen dabei verschiedenste Facetten von sexualisierter Gewalt und Sexismus auf.

Beatrix Wilmes ist mit “Was ich anhatte…” Bündnispartnerin im Bündnis “Gemeinsam gegen Sexismus” und hat die Ausstellungen konzipiert und kuratiert. Sie hat sich Zeit genommen, dem Bündnis mehr über die Ausstellungen zu berichten.

Bündnis “Gemeinsam gegen Sexismus”: Worum geht es bei den Ausstellungen „Was ich anhatte…“ und „Was ich anhabe…“?

Beatrix Wilmes: Ich habe zwei Ausstellungen konzipiert zum Thema Sexismus. Einmal die Ausstellung „Was ich anhatte…“ zum Thema sexualisierte Gewalt und falsche Opferschuld und die zweite Ausstellung, die im Frühjahr dieses Jahres eröffnet wurde, „Was ich anhabe…“. Sie thematisiert das Thema Diskriminierung von Frauen im Job und in der Karriere. Beide Ausstellungen zeigen anhand von zwölf originalen Kleidungsstücken mit dazugehörigem Text Geschichten von Frauen, die Sexismus erfahren haben. Die Geschichten von „Was ich anhatte…“ erzählen von Übergriffen nicht nur im dunklen Park, sondern häufig im häuslichen Umfeld, bei Freunden oder am Arbeitsplatz, die Mädchen und Frauen im Alter von sechs bis 82 Jahren erfahren haben. Doch es ist keine Opferausstellung. Die Teilnehmerinnen befreien sich von ihrem Trauma und machen so anderen Frauen Mut. Auch bei „Was ich anhabe…“ erzählen Frauen, Unternehmerinnen, Azubis, die erste Gleichstellungsbeauftragte Deutschlands etc., wie sie es geschafft haben, trotz Hindernissen und Hürden ihren Weg im Berufsleben zu gehen.

Bündnis: Welche Ziele verfolgen die Ausstellungen? Warum ist es wichtig, sich mit unterschiedlichen Ansätzen mit dem Thema sexualisierte Gewalt auseinanderzusetzen?

Wilmes: Beide Ausstellungen verfolgen das Ziel, Sexismus öffentlich zu machen. Schon mit der ersten Ausstellung, die im November 2020 eröffnet wurde, hatten wir das Ziel, an Plätzen zu sein, die für viele zugänglich sind. Das waren zuerst Bibliotheken, dann Stadtverwaltungen und leere Schaufenster bis hin zum Bahnhof oder auch bei H&M. Menschen sollten „im Vorbeigehen“ Denkanstöße bekommen, aber auch informiert werden. Wer ins Museum geht, hat sich mit der Thematik ja schon auseinandergesetzt. QR-Codes verhindern, dass auch Kinder die Texte lesen können. Mittlerweile ist es uns wichtig, dass die Ausstellung mit Führungen von Frauenberatungsstellen etc. begleitet werden.

Die zweite Ausstellung ist eine Indoor-Ausstellung. Sie ist für Firmen und Unternehmen konzipiert, die das Thema Diskriminierung, sexuelle Belästigung von Frauen bis hin zum Thema Fach-und Führungskräftemangel (Bsp. girls day) intern bearbeiten möchten. Aktuell wird sie aber auch von Gleichstellungsstellen gebucht. Die beiden Ansätze geben uns die Möglichkeit, an unterschiedlichen Orten die Thematik Sexismus in die Öffentlichkeit zu bringen, Missstände aufzuzeigen und so zu Diskussionen anzuregen.

Bündnis: Welche Reaktionen haben Sie auf das Konzept und die Ausstellungen selbst bekommen?

Wilmes: Die Reaktionen sind überwiegend positiv. Auf Instagram oder Facebook bekommen wir viele Posts von Frauen, die sich bedanken, dass wir das Thema in die Öffentlichkeit bringen. Es passiert auch immer wieder, dass wir beim Auf- oder Abbau der Ausstellung Tüten in die Hand gedrückt bekommen von Frauen, die uns ihre Kleidung geben, weil sie anonym an der Ausstellung teilnehmen möchten. Zur Ausstellung „Was ich anhabe…“ haben wir schon eine Flut von Zuschriften bekommen von Frauen, die uns ihre „Sprüche“, die sie am Arbeitsplatz gehört haben, zusenden. Das ist häufig unglaublich, welche frauenfeindlichen und sexistischen Bemerkungen Frauen von Vorgesetzten oder Kollegen zu hören bekommen. Auch so wird Sexismus deutlich und zeigt uns, wie wichtig diese Ausstellung ist.

Bündnis: Ein Ziel der Ausstellungen ist der Abbau von Schuld-Mythen im Kontext sexualisierter Gewalt und Belästigung. Warum ist das wichtig beim Kampf gegen Sexismus?

Wilmes: Damit sind wir beim Thema victim blaming. Immer noch gibt es den Mythos, dass Frauen selbst schuld sind, wenn sie vergewaltigt werden. Haben sie sich doch zu aufreizend angezogen. Das ärgert mich enorm, denn damit wird die Frau zur Täterin gemacht und der Mann, der sich nicht im Griff hatte, ist raus aus der Verantwortung. Solange dieses Denken noch in den Köpfen der Menschen ist, wird sich erstmal nicht viel ändern. Denn auch Polizist*innen, Richter*innen und selbst Freunde und Familie fragen nach einer Vergewaltigung: was hattest du an? Deshalb habe ich auch diesen Titel für die Ausstellung gewählt. Sie zeigt, dass es egal ist, was eine Frau anhatte: Jeans, T-Shirt, Jogginghose, Abendkleid – Kleidung, die jede Frau in ihrem Kleiderschrank hat. Das Patriachat bedient sich dieser Mythen, um alte Geschlechterstereotype vom Mann als starkes, überlegenes Geschlecht zu stabilisieren.

Bündnis: An wen richten sich die Ausstellungen?

Wilmes: Die Ausstellungen richten sich an alle Menschen als Denkanstoß und Diskussionsgrundlage zugleich. Deshalb auch die unterschiedlichen Ausstellungsorte für „Was ich anhatte…“. Diese Ausstellung wird in erster Linie von Gleichstellungsstellen der Städte und Frauenberatungsstellen gebucht. Die zweite Ausstellung „Was ich anhabe…“ ist ursprünglich für Unternehmen und Firmen konzipiert. Aber auch hier buchen uns Stadtverwaltungen, um intern und auch öffentlich damit zu arbeiten.

Bündnis: Wie können Interessierte Sie erreichen, um selbst Aussteller*innen zu werden?

Wilmes: Wir haben auf unseren Webseiten www.wasichanhatte.de und www.wasichanhabe.de jeweils eine Seite, über die Interessierte sich Informationen zuschicken lassen, Kataloge zur jeweiligen Ausstellung bestellen oder die Ausstellung direkt buchen können.

Bündnis: Sie sind Partnerin im Bündnis „Gemeinsam gegen Sexismus“. Welche Ansätze finden Sie hier besonders wichtig oder interessant?

Wilmes: Ich finde es insgesamt einen guten und wichtigen Ansatz, Vereine und Menschen aus den Bereichen Kultur, Medien, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu vernetzen. Sexismus ist gesellschaftsübergreifend vorhanden und dementsprechend auch nur klein zu kriegen, wenn alle zusammen an einem Strang ziehen. Ob in Kultur und Medien, in der Arbeitswelt oder im öffentlichen Raum, wichtig finde ich es Haltung zu zeigen gegen Sexismus.